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Die Sonne ist gerade aufgegangen, als ich das Hotelzimmer verlasse, um die neue Wanderung anzutreten. Nach der Wettervorhersage wird es ein ziemlich heißer Tag werden und deshalb versuche ich so gut wie möglich die kühlen Morgenstunden zu nutzen. Die ersten Kilometer sind nur eine "Transitstrecke", um den Einstieg zur Trift zu erreichen, im vorliegenden Fall die "Taverna della Zittola", ein im wahrsten Sinne des Wortes Knotenpunkt des Triftstrecken-Netzes. Die Taverna della Zittola ist Ausgangspunkt der Trift von Castel di Sangro nach Lucera, war aber auch ein Durchgangspunkt der Trift von Pescasseroli nach Candela. Die Hirten konnten an dieser Stelle entscheiden, welchen Weg sie nehmen würden. Diejenigen, die den südlicheren Teil von Apulien erreichen wollten, schlugen wahrscheinlich die Richtung nach Candela ein, während die, die nach Foggia wollten, in Richtung Lucera weiterzogen. Im Moment ist die erste der zwei genannten Triften, dessen Einstiegspunkt durch dichte Vegetation versperrt ist, nicht mehr nutzbar. Nach dem Ende des Zeitalters der Weidewirtschaft wurde dieser Weg größtenteils für die SS17 nach Isernia asphaltiert und der Rest der Vegetation überlassen. Im Gegensatz dazu wird die Trift von Castel di Sangro nach Lucera noch zu einem guten Teil genutzt und ist daher begehbar.
Die Taverna della Zittola ist natürlich nicht mehr die ursprüngliche. Das aktuelle Gebäude ist sicherlich eine Nachbildung, jedoch sollte der Ort, an dem sie steht, noch derselbe wie vormals sein. Auf einem Mäuerchen in der Nähe des Bauernhauses gibt es noch eine Inschrift mit guten Wünschen für die Reisenden. Es beginnt dann der Aufstieg auf Fahrwegen, die noch von den Bauern genutzt werden. Das ist ein Glück angesichts der Tatsache, dass es keine Spur von Instandhaltung oder Beschilderung gibt. Man folgt nun weiter dem Weg hoch, bis man die SS652 überqueren muss. Danach verläuft die Trift in einer Reihe von Aufs und Abs weiter. Auf den weniger genutzten Steckenabschnitten wächst hohes Gras, aber glücklicherweise gibt es hier keine Brombeersträucher und alles in allem kommt man sehr bequem voran.
Alles läuft optimal bis Montaldo, wo ich eine der vielen Quellen zu einer Pause nutze. Ausgangs Montaldo die erste unangenehme Überraschung: der Durchgang ist komplett durch Vegetation versperrt. Ich habe zwar Informationen über Stellen, wo ich auf Probleme stoßen werde, aber diese war nicht darunter. Aber keine Panik! Schauen wir mal, was sich machen lässt. Bewaffnet mit einer Heckenschere beginne ich, wir einen Durchgang zu öffnen. Ich komme voran, wenn auch sehr langsam. Als ich endlich das Geräusch des Baches höre, über den ich drüber muss, wird jedoch das Vegetationshindernis immer dichter. Es ist sicher überwindbar, aber ich verliere viel Zeit und die Temperatur beginnt zu steigen. Gegen meinen Willen muss ich aufgeben. Auf den Karten sehe ich, dass etwas weiter oben eine Straße vorbeiführt, die es mir erlaubt, das Hindernis zu umgehen. Deshalb gehe ich den Weg zurück und probiere die Alternativstrecke. Das war das erste Hindernis und leider hat es viel Zeit gekostet.
Der Weg führt rasch auf einem bequemen Kiesweg weiter, von dem aus man einige schöne Aussichten hat. Trotz des angetroffenen Problems würde ich sagen, dass die Sache in diesem Jahr recht gut läuft: ich werde mit großem zeitlichen Vorsprung ankommen! Nach der Erfahrung der vorherigen Wanderung sollte ich verstanden haben, dass man sich über gewisse Dinge besser keine Gedanken macht. Dieser Gedanke wird sofort bestraft: der Kiesweg wandelt sich in einen Feldweg, der wenig später total mit hoher Vegetation überwuchert ist. Diesmal gibt es keinen Alternativweg, ich muss da durch. Glücklicherweise gibt es keine Brombeersträucher, weswegen man einigermaßen vorankommt. Man muss nur zwischen den Pflanzen quasi "hindurchschwimmen". Jedoch ähnelt der, der auf der anderen Seite der Absperrung mit Blättern, Ästchen, Blütenstaub und ähnlichem bedeckt herauskommt, mehr einer Vogelscheuche als einem Menschen. Zumindest schließe ich das aus den verblüfften Blicken der Einwohner des Dörfchens, die mich aus dem Gestrüpp auftauchen sehen.
In gewisser Weise ist es ja das, worauf ich mich gefasst machen muss... neue Hindernisse. Im vorliegenden Fall weiß ich, was auf mich zukommt und so halte ich, als ich auf den versperrten Weg treffe, die Heckenschere bereit: ich werde versuchen, den Weg wieder frei zu machen! Wieder sehe ich am Eingang des Weges eines dieser auf den Boden geworfenen Schilder, die ich schon auf der vorherigen Wanderung vorgefunden habe: es ist jetzt das erste dieser Art und es sagt mir, dass ich mittlerweile in Molise angekommen bin. Es ist definitiv möglich hier voranzukommen, aber die Zeit, die nötig ist, um diesen Weg zu öffnen ist definitiv zu lang und die Temperaturen beginnen wieder zu steigen. Nachdem ich im Dickicht ungefähr 150 m vorangekommen bin, muss ich wieder aufgeben und ich muss einen langen Umweg antreten, der mich unter Überquerung des Flüsschens Vandra wieder auf die Trift zurückführt. Schade!
Da ich weiß, dass ich nach dem Flüsschen zunächst einen ordentlichen Anstieg vor mir habe, esse ich erst einmal zu Mittag und... mache ein kleines Nickerchen an einem schattigen Plätzchen. Was ich nicht weiß ist, dass dieses Plätzchen, wo ich mich niedergelassen habe, an einem Weg liegt, der zum darunter liegenden Bach führt, weswegen ich, als ich die Augen öffne, zu einem Mann aufblicke, der sich gerade fragt, ob es mir nicht gut geht. Nein, seien Sie beruhigt! Alles in Ordnung! Kurz danach kommen ein paar junge Leute mit einer Kühltasche, einer Wassermelone,... und fast, ja fast, wäre ich hier geblieben... aber nein, es ist Zeit wieder aufzubrechen.
Der Anstieg ist schrecklich. Es sind die heißesten Stunden des Tages und es gibt nicht einen Baum, der etwas Schatten wirft. Ich umgehe einen Erdrutsch, der sich über die ganze Breite der Trift erstreckt, danach wird der Anstieg etwas leichter und schlussendlich großes Staunen: zum ersten Mal sehe ich die Trift, wie sie in der Epoche der Weidewirtschaft gewesen sein muss, das heißt eine lange Bahn von ca. 111 m Breite. Ich setze mich unter den einzigen verfügbaren Baum, um das Schauspiel zu bewundern. Das Thermometer, das ich dabei habe, zeigt 42°C.
Glücklicherweise, denn meine Energie ist buchstäblich erschöpft, ist der Agriturismo, wo ich übernachte, in einer Ebene. Zum ersten Mal nach so vielen Wanderungen ist auch mein Wasservorrat erschöpft und das, obwohl ich den Beutel Mitte des Tages mit zwei Litern gefüllt habe.
Den Betreibern des Argiturismo gelingt es, meinen wundervollen Tag noch etwas besonderer zu machen. Bei meiner Ankunft rettet mich Alessandra mit zwei Flaschen eisgekühlten Wassers, wobei sie mich bittet, es etwas wärmer werden zu lassen bevor ich es trinke... hmm, nun, ich fürchte, ich habe den Rat nicht wirklich befolgt, der Durst war zu stark! Ich esse mit ihnen zu Abend und die Atmosphäre mit drei Generationen am Tisch ist angenehm familiär. Ich fühle mich wie zuhause. Ich weiß nicht, wer gekocht hat, aber wer immer es war, er kann es. Ich verliere den Überblick über die Zahl der Gänge: sie müssen mich für abgemagert gehalten haben und versuchen, mich nun wieder aufzupäppeln! Aber das wahre Ereignis des Abends ist Uropa Littorio, der sich noch an die letzten Jahre erinnern kann, in denen die Weidewirtschaft noch betrieben wurde. Er bedauert die Tatsache, dass die Trift durch die mitten hindurch gebaute Schotterstraße ruiniert wurde und erklärt mir, dass die Marksteine, die früher die Grenzen der Trift kennzeichneten, im Lauf der vielen Eingriffe zu Dreiergruppen zusammengestellt wurden und dass.... ich höre ihm zu wie ein Kind, das Märchen hört und ich versuche wach zu bleiben, indem ich einen harten Kampf mit der über den Tag hinweg angesammelten Müdigkeit führe. Ich könnte ihm noch unendlich lange zuhören, aber schlussendlich muss ich mich geschlagen geben: morgen früh heißt es im Morgengrauen aufstehen!
Die Strecke des Tages