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Der total wolkenfrei Himmel sagt mit, dass ich auch heute kühles Wetter vergessen kann. Ich gehe zunächst zum Fluss Biferno herunter. In der Nähe des Flusslaufes kreuzt man die kleine Kapelle des Heiligen Jakobus, dem Schutzheiligen der Pilger. Nach kurzer Stecke erreicht man den Fluss. Die alte Brücke, die früher die Hirten benutzten, gibt es nicht mehr und der Fluss führt trotz der Trockenheit noch viel Wasser, sodass ich einen Umweg entlang der SS647 machen muss, um eine moderne Brücke zu erreichen. Auf der Straße ist viel Verkehr, aber der Seitenstreifen ist sehr breit, sodass es keine großen Probleme mit der Sicherheit gibt.
Nachdem ich die Brücke überquert habe, wird es ruhiger und es beginnt der Anstieg zu dem Hügel, den ich am Vortag von Aussichtspunkt aus bewundern konnte. Es gibt eine beeindruckende Zahl von unkontrolliert umher vagabundierenden Hunden, aber trotz ihres vielen Gebells halten sie sich fern. Entlang des Anstiegs treffe ich auf die Überreste eines schon angefressen Fuchses. Anfangs glaube ich, das sei die Schuld der Hunde, aber etwas weiter entfernt bringen mich die typischen Exkremente, mit denen Füchse ihr Territorium markieren, auf eine andere Idee, was geschehen sein könnte.
Wie es scheint läuft die Sache heute richtig gut. Die für sich genommen schon bequeme Schotterstraße, die hoch zum Hügel führt wird von einem von landwirtschaftlichen Fahrzeugen festgefahrenen Weg flankiert, sodass das Laufen sehr sehr angenehm ist.
Als die Steigung etwas leichter zu werden beginnt, stoße ich auf ein Hinweisschild, das mir sagt, dass ich vor der Rocca di Oratino stehe... Moment mal... ein anderes Schild sagt, dass ich mich in Santo Stefano befinde... halt mal, vielleicht komme ich grad ans Santuario della Madonna della Neve... was für ein Durcheinander! Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was hier passiert ist. Statt die Beschilderung an die richtige Stelle zu setzten, hat wohl jemand es für ökonomischer gehalten, alle Schilder zusammen an irgendeinen Punkt entlang der Trift zu stellen... zu Ehren der Wanderer. Für diejenigen, die es interessiert, habe ich auf der GPS-Strecke am Ende der Seite die tatsächliche Position der genannten Orte markiert. Einfach so, zum Vergnügen!
Als ich in Santo Stefano ankomme nutze ich eine Quelle, um mich zu erfrischen. Danach wandere ich auf einem leichten Anstieg weiter. Es ist idyllisch: der Weg ist bequem, die Luftbewegung dämpft die brennende Hitze etwas, die breite und imposante Trift ist sehr sehr gut sichtbar... ich warte jeden Moment darauf das jemand oder etwas mich in die grausame Realität zurückholt. Aber stattdessen läuft alles bestens!
Ich verlasse die Trift für einen Augenblick in der Nähe der SS710, einer sehr viel befahrenen Straße, um einen einfacheren Übergang zu suchen. Als ich am Hotel Tavernetta vorbei komme, denke ich, dass es die Gelegenheit ist, eine kleine Pause zu machen, bevor ich eines der Ziele der heutigen Etappe in Angriff nehme: die Taverna del Cortile. Es handelt sich dabei um eine der vielen Tavernen entlang der Trift, die den Hirten als Stützpunkt dienten. Die Taverna del Cortile war von spezieller Bedeutung, da sie sich in einem Knotenpunkt des Trift-Netzes befand. Von hieraus gingen in der Tat zwei kleinere Verbindungstriften ab. Die erste, die von Cortile nach Matese, führte auf die Pescasseroli-Candela-Trift, die zweite von Cortile nach Centocelle, lief mit der Trift von Celano nach Foggia zusammen. Beide Verbindungstriften sind noch teilweise begehbar.
Die Taverna del Cortile ist seit kurzen restauriert worden. Eigentlich wäre es besser zu sagen, dass sie wiederaufgebaut worden ist, angesichts der Tatsache, dass wenig bis gar nichts vom ursprünglichen Gebäude übrig geblieben ist. Man hätte das auch entschieden besser machen können. Im Moment scheint sie ungenutzt zu sein und es ist nicht klar, was ihre künftige Bestimmung sein könnte. Ein Restaurant vielleicht?
Die Taverna del Cortile liegt heute in Mitten eines riesigen Straßenknotens und diesen zu überwinden, um wieder auf die Trift zu kommen, ist nicht leicht. Vor der Taverne gestattet ein kleiner, halb versteckter Torbogen unter der Eisenbahnlinie hindurch zu gehen: das ist offenbar die richtige Richtung und nach ein paar hundert Metern bin ich wieder auf der Trift. Der Weg geht anfangs entlang der asphaltierten Straße: die Trift ist vom Satelliten aus gut zu sehen, aber es gibt keinen festen Weg der darüber hinweg verläuft. Gar nicht zu reden von Bäumen. Sukzessive weiterkommend, erscheint am Horizont mitten auf der Trift ein Gebäude.
- Sollte das nicht verboten sein, auf der Trift zu bauen?
Die Funktion des Gebäudes ist nicht klar, aber es erinnert an ein öffentliches Gebäude: von Privatleuten erwartet man ja alles Mögliche, aber wenn das auch Behörden machen... Kurz danach seitlich zur Asphaltstraße beginnen wieder Feldwege und die Wut lässt etwas nach. In der Nähe der Gemeinde Campodipietra wirbt ein großes Hinweisschild für eine Veranstaltung zur Aufwertung der Trift. Geht doch!
Endlich ein Baum - der erste - unter dem ich dann eine Pause machen und einen Pfirsich essen kann. Wahrscheinlich ist das Gelände, auf dem ich mich befinde privat, weil es vor einem Wohngebäude liegt, aus dem wenig später die Besitzer mit dem Auto herauskommen. Ich denke, dass sie mich auffordern zu verschwinden, aber stattdessen grüßen sie mich freundlich vom Autofenster aus bevor sie wegfahren. Auch diesmal ist alles gut gegangen.
Als ich mich grade wieder auf den Weg machen will, hält ein Auto vor mir mitten auf der Straße. Es kommt ein Mann heraus. Oh, der kommt direkt auf mich zu! Keine Panik, stellen wir uns erstmal einander vor... aber es ist gar nicht nötig. Es handelt sich um Fernando, den sympathischen Betreiber des Bed&Breakfast, wo ich übernachten werde. Angesichts der Hitze dachte er, er müsse mir zur Hilfe kommen. Ich bin verblüfft von solcher Freundlichkeit und ich revanchiere mich... ich lehne seine Einladung ab. Alles in Allem war das ein Tag frei von Hindernissen und der leichte Wind läd mich zum Weitergehen ein. Dieser Abschnitt der Trift ist sehr bequem zu gehen und gut sichtbar und deswegen will ich die Wanderung bis zum Schluss genießen. Ich sehe ihn verblüfft von dannen ziehen ... er muss gedacht haben: immer hab ich es mit den Verrückten zu tun!
Ich setze meinen Weg gemütlich bis nach Campodipietra fort, wo ich dann die Trift, die weiter in die Talsohle führt, verlassen muss. Ich habe kein Nachtquartier in diesem Städtchen gefunden und daher muss ich Richtung Toro abbiegen und gehe deshalb noch ein wenig auf der Asphaltstraße entlang. Fernando erwartet mich schon in seinem Bed&Breakfast, das er, genau im Zentrum des Orts gelegen, in einem Haus betreibt, welches er selbst restauriert hat. Ich garantiere Euch, es ist wunderschön und die Atmosphäre ist besonders. Fernando erzählt mir von seinen Aktivitäten und ich berichte ihm von meinen Erfahrungen auf der Trift und von meinem Ziel, alles mit dem GPS auf einer Karte zu verzeichnen. Langsam beginnt er zu verstehen, warum ich sein Mitfahr-Angebot abgelehnt habe.
Ich verbringe den Nachmittag damit, im Ort herumzulaufen. Die Altstadt ist ein kleines Juwel mit seinen engen Gässchen, in denen keine Autos fahren können und mit den Leuten, die auf der Straße sitzen, um etwas Kühle zu genießen und sich mit den Nachbarn zu unterhalten. Manchmal komme ich an Fernando vorbei, der mit Freunden Karten spielt. Er verfolgt mich unterschwellig mit seinem Blick: alles unter Kontrolle!
Der Tag endet in einer Pizzeria. Überraschen kommt Fernando zu mir, um mir Gesellschaft zu leisten, bis meine Pizza kommt. Ein gemeinsames Bierchen ist ein würdiger Abschluss eines wunderbaren Tages. Danke Fernando für die phantastische Aufnahme.
Die Strecke des Tages