Von Serracapriola nach Ururi

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1 - Von Serracapriola nach Ururi

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19/08/2025 - Tagesstrecke: 15.5 km - Gesamtstrecke: 15.5 km

– Reisender, darf ich dich interviewen?

Antonio steht vom Tisch seiner Freunde auf und stellt sich so vor. Ich schaue ihn etwas verwirrt an, und um sich zu erklären, zeigt er auf meinen Rucksack:

– Du hast einen Rucksack, du bist ein Reisender!

Ich denke bei mir: schon wieder einer! Kurz zuvor war eine andere Person gekommen und hatte mir mit verschwörerischem Ton gesagt:

– Lauf aus Ururi weg, solange du noch kannst! Ich habe dich gewarnt!

Es scheint also, dass alle exzentrischeren Charaktere des Dorfes vom „Fremden mit dem Rucksack“ angezogen werden.


Aber gehen wir der Reihe nach. Nach einem sonnigen Tag komme ich in Ururi an und halte, wie es mein tägliches Ritual ist, an der ersten Bar: ein frisches Bier und ein wenig Pause. Dort taucht Antonio mit seiner Frage auf. Ich beschließe, darauf einzugehen:

– Ich wandere entlang der Tratturi der Transhumanz. Ich möchte sie, so gut es geht, kartieren.

Normalerweise schaut mich mein Gegenüber nach diesem Satz verständnislos an und fragt, was die Tratturi seien (und ich stelle mir sofort vor, dass er an einen Traktor denkt). Aber nicht Antonio. Seine Augen leuchten auf, und er antwortet:

– Hier in der Gegend verlaufen viele Tratturi. Ich selbst habe die Transhumanz mit den Colantuono mitgemacht.

Nun bin ich wirklich neugierig: Vielleicht ist er doch nicht so verrückt, wie ich dachte. Ich stelle ihm einige Fragen, während seine Freunde versuchen, mich zu bremsen:

– Wenn er erst mal anfängt, hört er nicht mehr auf!

Und genauso ist es: Antonio ist ein reißender Strom. Er erzählt von seinen Erlebnissen während der Transhumanz, und mir wird klar, wie anders sein Blick ist, viel weniger „akademisch“ als meiner. Für mich sind die Tratturi Linien mit einem Namen und einem Start- und Endpunkt: Celano–Foggia, von Celano nach Foggia. Punkt. Für ihn hingegen sind sie ein Straßennetz: Um von einem Ort zum anderen zu gelangen, biegt man hier ab, dann dort… Die Namen sind nebensächlich, der Weg ist entscheidend.

Er liefert mir eine Fülle von Details, einige bereits bekannt, andere völlig neu. Zum Beispiel: Die Hirten versuchten, die Herden voneinander zu trennen, indem sie mindestens drei Tage zwischen dem Durchzug einer Gruppe und der nächsten verstreichen ließen, damit die Wiesen Zeit hatten, nachzuwachsen und das Risiko der Krankheitsübertragung sank. Zur Koordinierung benutzten sie die „Ciaramelle“: Wenn ein Abschnitt des Tratturo gerade begangen worden war, wich der Hirte auf eine andere Strecke aus.

Am Ende des Gesprächs bietet Antonio an, mich nach Montorio nei Frentani zu bringen, dem höchsten Dorf der Gegend, von dem man angeblich einen spektakulären Blick auf das Netz der Tratturi hat.

Wir fahren über beschädigte, für den Verkehr gesperrte Straßen, die er absichtlich wählt, weil sie schöne Ausblicke bieten. Ab und zu hält Antonio an und zeigt auf eine Linie in der Landschaft: ja, er hat recht, es sind tatsächlich Tratturi. In Montorio angekommen, wird die Sicht leider durch tiefe Wolken eingeschränkt. Angeblich sieht man an klaren Tagen die Maiella und sogar das Meer. Schade, aber das Panorama lohnt sich trotzdem.

Bevor wir zurückfahren, halten wir noch in Larino, wo Antonio sich als Fremdenführer versucht und mir lokale Bräuche erklärt. Auch dort kennt man ihn: Die Leute grüßen ihn auf der Straße.

Am Abend, zurück in Ururi, beschließe ich den Tag im einzigen Lokal, in dem man essen kann: ein Pub, mit einem Hamburger. Während ich esse, denke ich, dass es schade war, nicht mehr Zeit für ein Gespräch mit Antonio zu haben. Wer weiß, wie viele Geschichten er noch erzählt hätte. Ich habe ihn nicht einmal nach einer Telefonnummer gefragt, um wieder Kontakt aufzunehmen. Ein echtes Genie!


Ihr werdet sagen: ...und die Strecke des Tages? Wie erwartet ist das Tratturello Ururi–Serracapriola inzwischen vollständig asphaltiert. Ich habe zwei kurze Abstecher auf unbefestigte Wege eingebaut: beim ersten musste ich ein Feld überqueren, aber abgesehen davon bot die Strecke keine besonderen Schwierigkeiten.

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Die Strecke des Tages